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Steigende Strahlenbelastung im Katheterlabor führt zur Aktualisierung der Leitlinien für Strahlenschutz

Prof. Anders Wanhainen über die neuen ESVS-Leitlinien, die erstmals den Einsatz hängender Strahlenschutzsysteme vorsehen

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Prof. Anders Wanhainen

Angesichts des Wandels der gefäßmedizinischen Praxis war die jüngste Anpassung der Leitlinien für Strahlenschutz überfällig, findet Prof. Anders Wanhainen, Leiter der Abteilung für Gefäßchirurgie und der Forschungsgruppe für Gefäßchirurgie an der Universität Uppsala in Schweden. Angesichts neuer Erkenntnisse hat die Europäische Gesellschaft für Gefäßchirurgie (European Society for Vascular Surgery, ESVS) ihre Leitlinien für die klinische Praxis kürzlich an die neuen Trends im Operationssaal angepasst. Die Aktualisierungen begegnen den wachsenden Bedenken bezüglich der Strahlenexposition bei röntgengeführten minimalinvasiven chirurgischen Eingriffen. Erstmals wird dabei explizit auf die Vorteile des Zero-Gravity-Systems von BIOTRONIK eingegangen. Im Gespräch mit Prof. Wanhainen, Mitverfasser der Leitlinien, ging es darum, was die neue ESVS-Empfehlung für praktizierende Mediziner*innen bedeutet und ob andere Fachgesellschaften dem Beispiel der europäischen Empfehlungen folgen werden.

 

Warum wurden die ESVS-Leitlinien um eine Empfehlung für Strahlenschutzsysteme erweitert?

In den letzten Jahren hat sich die gefäßchirurgische Berufspraxis grundlegend verändert. Anstelle offener Operationsverfahren führen wir vermehrt Fluoroskopie-gesteuerte endovaskuläre Interventionen durch. Viele dieser Verfahren gehen mit einer bisher beispiellosen Strahlenbelastung einher. Komplexe Eingriffe der Thorax- und Abdominalchirurgie beispielsweise sind inzwischen mit einer viel höheren Strahlung assoziiert als in der Vergangenheit. Mit steigender Anzahl und Komplexität der Verfahren wächst auch die Strahlenbelastung für Gefäßchirurg*innen. Die neuen Empfehlungen waren also längst überfällig. In der klinischen Praxis sind wir stark auf Leitlinien angewiesen, die für bessere Verfahren, weniger Strahlungsbelastung und mehr Schutz plädieren. Die Leitlinienänderungen waren genau die richtige Antwort auf die gefäßchirurgische Realität und die Bedürfnisse der heutigen Zeit.

Welche Bedeutung hat die Leitlinienänderung Ihrer Meinung nach?

Die Aktualisierung wird sich ganz erheblich auf unseren Arbeitsalltag auswirken, denn in der neuen Leitlinie werden mehrere spezifische Empfehlungen zur klinischen Praxis ausgesprochen: von der Durchführung von Verfahren über den Schutz von Klinikpersonal, Ausstattung und Schulung bis hin zur Messung der Strahlenbelastung und anderer entscheidender Variablen. Die Leitlinie gibt Krankenhäusern außerdem einen Wegweiser zur Einhaltung ihrer eigenen Vorschriften an die Hand. All das haben wir jetzt schwarz auf weiß. Zwar gelten in den meisten Krankenhäusern bereits gewisse Vorschriften auf Grundlage des europäischen Rechts. Aber nun sind Ärztinnen und Ärzte, also diejenigen, die am OP-Tisch stehen, aktiv involviert. Das ist eine gute Basis – und Krankenhäuser können sich natürlich auch entscheiden, freiwillig noch mehr zu leisten. Die Leitlinie wird in Sachen Sicherheit im Katheterlabor vieles zum Positiven verändern. Schließlich werden etwa 80 Prozent der gefäßchirurgischen Eingriffe mit Hilfe von Fluoroskopie durchgeführt!

 Welche Verfahren profitieren Ihrer Meinung nach von einem System wie Zero-Gravity – einschließlich derjenigen, die noch nicht durch diese neuen Leitlinien abgedeckt sind?

Die Leitlinie geht sehr umfassend auf kardiovaskuläre Verfahren ein, aber ich habe den Eindruck, dass auch andere Bereiche der Chirurgie und Kardiologie von ihr profitieren können, wenn es um die Aktualisierung der eigenen Vorschriften geht. Ob bei kardiologischen Fachtreffen, Seminaren, Workshops oder allgemein bei Gesprächen – überall stoßen wir auf ein breites Interesse an neuartigen Strahlenschutzsystemen.

Welche Kriterien sollten Krankenhäuser bei der Entscheidung für ein System wie Zero-Gravity berücksichtigen?

Die Leitlinie plädiert sehr deutlich für einen Ganzkörperschutz. Bei uns am Krankenhaus ist Zero-Gravity im Einsatz, und ich habe mich für die Anschaffung ausgesprochen. Natürlich brachte die Implementierung auch Herausforderungen mit sich. Einige Kolleg*innen zeigten sich zunächst skeptisch, und auch die Kosten muss man im Blick haben.

Aber das System bietet zahlreiche Vorteile: An erster Stelle steht selbstredend der Strahlenschutz. Kopf, Gehirn und Augen werden durch das Zero-Gravity-System besonders gut geschützt. Aber auch der ergonomische Aspekt spielt eine Rolle. Das Gewicht, das die Ärztin oder der Arzt am Körper tragen muss, wird deutlich reduziert, und das schont Rücken und Gelenke. Eine meiner Kolleginnen im Krankenhaus musste sich einer Wirbelsäulenoperation unterziehen und durfte danach sechs Monate lang keine Bleischürzen tragen. Aber mit Zero-Gravity konnte sie operieren. Da wurde mit einem Mal glasklar, dass sich die Investition in Zero-Gravity gelohnt hatte.

Verfahren mit sehr hoher Strahlenexposition werden nur an wenigen großen Zentren durchgeführt. Viele davon zeigen bereits ein reges Interesse an Zero-Gravity. Kleinere Zentren führen in der Regel kürzere Verfahren mit geringerer Strahlenbelastung durch, weshalb die Anschaffung eines Systems wie Zero-Gravity dort zunächst nicht relevant erscheinen mag. Aber diese weniger strahlungsintensiven Verfahren werden viel häufiger durchgeführt, sodass die Strahlenbelastung im Laufe der Zeit trotzdem erheblich sein kann. Auch hier bietet sich also eine Investition in Zero-Gravity an. 

Welche Trends in Sachen Strahlenschutz beobachten Sie aktuell, und was können wir für die Zukunft erwarten?

In den letzten Jahren haben uns vor allem zwei Publikationen auf unserem Gebiet wichtige Erkenntnisse gebracht: Die erste zeigte akute DNA-Schäden bei Chirurg*innen auf, die von der individuellen Fähigkeit zur DNA-Reparatur abhängen.1 Die zweite Studie aus dem vergangenen Jahr ist noch bedeutender, denn hier konnten chronische DNA-Schäden nachgewiesen werden, die in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung von Krebs stehen.2

Die Hälfte aller jungen Gefäßchirurg*innen sind Frauen; eine Strahlenbelastung bedeutet also ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Das heißt, die linke Axilla sollte gut geschützt werden.

Das Interesse an diesem Thema wächst, denn Strahlung ist für uns ein großes Problem. Egal wie sehr man das eigene Strahlenschutzverhalten verbessert, am Ende bleibt immer noch eine hohe Strahlendosis. Aus diesem Grund ist maximaler Schutz Pflicht. Zero-Gravity ist hier das System der Wahl. Es hat für Ärztinnen und Ärzte einen enormen Mehrwert.

Die neuen Leitlinien sind aktuell ein viel diskutiertes Thema. Ich hoffe, dass andere nationale und internationale Fachgesellschaften den Empfehlungen der ESVS bald folgen und ihre Leitlinien an die Bedürfnisse der modernen medizinischen Praxis anpassen werden.

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Referenzen:

1.       https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29054934/

2.       https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.058139